Berufsunfähigkeit: Der Armut so nah ...

 

Tom, 45 Jahre und Familienvater, leidet an Depressionen und ist aufgrund seiner Erkrankung derzeit Bezieher einer Berufsunfähigkeitspension. Er gewährt uns einen Einblick in den Alltag eines Menschen, der krankheitsbedingt seinen Beruf nicht mehr ausüben kann und von staatlichen Zuwendungen abhängig ist. Sein Fall zeigt uns, wie rasch es einen selbst betreffen kann und wie unerbittlich das System zuschlagen kann:

 

29.08. Antrag auf Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension verschickt.
14.10. Es ist so weit: Ich bin von der PVA zu einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung bei einem Dr. W. in Linz geladen. Wie immer hat diese Ladung einen neuen Schub verursacht. Die Ungewissheit, das Gefühl einem wildfremden Menschen völlig ausgeliefert zu sein, Panik vor der Großstadt – da kommt Vieles zusammen. Ich habe es geschafft, rechtzeitig beim Gutachter zu sein. Dr. W. empfand ich als unfreundlich und eiskalt. Auf dem Schreibtisch Riesenstapel an PVA-Dokumenten. Nun, der Gutachter saß vor seinen Stapeln, das Gesicht hinter seinem Diktiergerät, hat in meinen Akten geblättert und einfach Sätze aus dem Zusammenhang gerissen. Was er gelesen hat, hat er dann völlig verdreht in sein Diktiergerät gesprochen. Über bereits vorhandenen Gutachten nur abfällig gesprochen. An mich nur ganz kurze Fragen, die er dann ohnehin mehr oder weniger selbst beantwortet hat. Der ganze Spuk hat ca. 10 Minuten gedauert, dann wurde ich hinauskomplimentiert.
16.10. Das „Gutachten“ per Email von der PVA angefordert, da hat man ja ein Recht dazu ...
20.10.

Was ich heute bekommen habe, war nicht das „Gutachten“, sondern eine Einladung zu einer weiteren Untersuchung in der PVA:
„ … Auf Grund der neurologisch-psychiatrischen Begutachtung (Was für eine Begutachtung, verdammt nochmal?) hat sich die Notwendigkeit der Durchführung einer psychodiagnostischen Untersuchung ergeben. ...“

24.10. Ich habe meine Schockstarre überwunden und rufe bei der PVA an. Auf die Frage nach dem Gutachten, wurde mir erklärt, es sei noch nicht verfügbar und nicht im System. Merkwürdig, nachdem sich die PVA bei ihrer Ladung, ja genau auf dieses Gutachten bezogen hat … Ich bekomme das Gutachten so schnell als möglich zugesendet, war das Versprechen.
16.11.

Heute war die psychodiagnostische Untersuchung. Ich wurde vor einem PC gesetzt und musste etliche Male dasselbe Spiel spielen: eine Strecke nach fahren – grüne Taste links, rote Taste rechts ... ein Computerspiel für Vorschulkinder? Danach 1/2 Stunde warten und dann sollte ich erzählen, wie es beim Gutachter war. Keine Frage zu meinem Befinden. War der merkwürdige Test nur dazu da, um dem Gutachten von Dr. W. den Anschein von Professionalität zu geben? Bin ich selbst schuld, weil ich gleich Misstrauen gezeigt habe? Ich bin verunsichert.


Am Ende diesen Monats läuft die Pension aus und ich habe immer noch keine Ahnung, was mit mir passiert. Die Situation ist unerträglich. Total ausgeliefert an Personen, die keine Ahnung von mir haben. Die Schreiben derer, die mich und meine Krankheit seit Jahren begleiten, haben scheinbar gar keinen Wert.

18.11.

Ein Schreiben von der PVA: „... Das Gutachten von Dr. W. wird erst nach Durchführung der psychodiagnostischen Untersuchung erstellt...“ Aha, die PVA bestellt ein Gutachten bei einem Arzt, der bestellt dann ein Gutachten von der PVA, um ein Gutachten schreiben zu können. Irgendwas ist da merkwürdig …

 

Mal die Homepage von Dr. W. besucht. Dort steht: „Gutachterliche Tätigkeit als gerichtlich beeideter Sachverständiger und für die Pensionsversicherungsanstalt sowie BBRZ.“ Ja, sowas hab ich mir schon gedacht. Also scheinbar kein unabhängiger Gutachter. Gutachter erhalten ihre Zertifizierung von einem Verein der PVA (ÖBAK), erhalten ihre Aufträge und ihren Lohn von der PVA… - was soll man davon halten?

 

Nur mehr 12 Tage bis zum Auslaufen der Pension. Immer noch nicht klar, ob ich zum Gericht muss, ob ich um Pensionsvorschuss ansuchen muss, wie es weitergeht …

 

Um ehrlich zu sein, die Chancen von Tom auf Weitergewährung der staatlichen Berufsunfähigkeitspension stehen mehr schlecht als recht. Die Zahl der abgelehnten Anträge ist massiv im Steigen und liegt bei über 60%! Bei Anträgen auf Reha sogar schon bei fast 70%. Rehabilitation und Umschulungen zur Wiedereingliederung ins Erwerbsleben dauern zudem oft mehrere Jahre und müssen bei Bedarf auch wiederholt werden.

 

Mindestsicherung als Lösung?

22.11.

Warte immer noch auf Post von der PVA. Bereits 3 Monate der Ungewissheit liegen hinter mir. Anruf bei der PVA: Befund ist noch nicht fertig, kann noch 1-3 Wochen dauern – meine Pension läuft aber in 1 Woche aus!!!

30.11.

Ich musste auf’s Arbeitsamt. Es war immer noch kein Bescheid da! Ich bin krank, wie immer, wenn der psychische Druck zu stark wird. Was ich auf dem AMS erfahren habe, schlägt dem Fass den Boden aus und erklärt auch die ewige Wartezeit bei der PVA: Der Vermittlungsschutz gilt nur 3 Monate. Danach werde ich wie jeder andere Arbeitslose behandelt und vermittelt. Wenn ich jetzt also Klage gegen die PVA einreichen muss, muss ich gleichzeitig dem AMS als arbeitsfähig zur Verfügung stehen. Ein klarer Widerspruch.


Will ich nicht mit meiner Familie verhungern oder auf der Straße stehen, dann muss ich behaupten, ich sei arbeitsfähig. Damit habe ich aber kein Recht mehr auf die Berufsunfähigkeitspension. Sage ich aber die Wahrheit, nämlich, dass ich nicht arbeitsfähig bin, dann verliere ich alle meine Bezüge.

01.12. Endlich ein Schreiben von der PVA! Mir hat das Herz bis zum Hals geklopft! Das Schreiben war ein Fragebogen zur Ausgleichszulage… Ein zehnseitiger Fragebogen und eine Frist von 2 Wochen. Wollen die mich wirklich nur mehr verarschen?
06.12. Immer noch kein Bescheid. Ich denke, der Psychoterror hat Methode. Laut telefonischer Auskunft, liegt mein Akt noch beim Leistungsausschuss, aber telefonische Aufklärung: „Es schaut nicht gut aus“ ...
23.12. Ja, die Weihnachtszeit ist auch die Zeit für Märchen. Wahrscheinlich hab ich deshalb auch das Gutachten mittlerweile bekommen. Unglaublich, dass sich ein studierter Mann so etwas auszustellen getraut. Ich werde das „Gutachten“ auf strafrechtliche Relevanz hin untersuchen lassen.
31.12. So, in wenigen Stunden beginnt das neue Jahr. Ein Jahr mit Gerichtsverfahren, ein Jahr mit neuen Gutachtern, ein Jahr, weit unter dem Existenzminimum, ein Jahr ohne Urlaub, ein Jahr der Demütigung, ein Jahr mit wenig Chancen auf Besserung meines Zustands, ein Jahr beim AMS, ein Jahr mit großen Schwierigkeiten …
03.01.

Meine Lage wird immer besch... Um überhaupt eine geringe Chance zum Überleben zu haben, musste ich beim AMS Notstandshilfe beantragen. (Pensionsvorschuss gibt es ja nicht mehr). Die Notstandshilfe beträgt ungefähr die Hälfte des Betrags, den ich vorher als Mindestpension erhalten habe. Allerdings erhält man vom AMS ja nur Zahlungen, wenn man arbeitsfähig ist. So zwingt mich der Staat jetzt zur Lüge! Ich werde gegen den Bescheid der PVA klagen und muss dort beweisen, dass ich NICHT arbeitsfähig bin. Für das AMS muss ich behaupten, ich sei arbeitsfähig…


Bedarfsorientierte Mindestsicherung kommt für mich auch nicht in Frage, da ich in einem eigenen Bungalow wohne, und das Amt sich dann in das Grundbuch schreiben würde. Ich lebe in dem Haus mit Frau und 3 Kindern. Damit wäre dann auch die Zukunft der Kinder gefährdet.

 

 

Wiedereinstieg durch Reha – oder Armut durch Krankheit?

Die Ziele der Berufsunfähigkeits- und Invaliditätspensionsreform 2014 waren: weniger Berufsunfähigkeits- und Invaliditäts-Pensionisten; eine Milliarde Euro mehr an Steuereinnahmen; späterer Pensionsantritt sowie rasche Wiedereingliederung der Betroffenen ins Erwerbsleben.

 

Das Ergebnis der Reform in der Praxis? Oftmals eine zusätzliche schwerwiegende Belastung der Betroffenen – und nicht Rehabilitation und Wiedereinstieg!

 

Wird ein Antrag auf Rehabilitation oder Umschulung aufgrund Krankheit abgelehnt, werden die Betroffenen an das AMS zurückverwiesen. Dort müssen sie sich „arbeitswillig“ erklären, ansonsten erhalten sie keine Geldleistungen vom AMS. Eine Patt-Situation ohne wirkliche Lösung.

 

Fazit

Krankheitsbedingt seinen Beruf nicht mehr ausüben zu können ist kein Vergnügen und hat nichts mit arbeitsunwillig zu tun, vielmehr ist man einer existenzbedrohenden Situation ausgeliefert. Verlassen Sie sich für so einen Fall nicht ausschließlich auf staatliche Hilfe und sichern Sie Ihren Lebensstandart. Wir empfehlen dringend, für eine eventuelle Berufsunfähigkeit vorzusorgen – für sich und Ihre Familie.

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